Illustration: Alexander Wells.
Martina Müllner: Ich glaube, ich muss etwas über meinen Hintergrund erzählen. Ich komme aus einem familiären Umfeld, in der die Beschäftigung mit Äußerem wie Mode fast verpönt war. Vielleicht war mein Interesse zunächst nur die Gegenreaktion darauf. Aber wenn ich Recht überlege, war es von Anfang an gar nicht die Mode an sich, sondern die Art, wie sie erzählt wurde, die mich faszinierte. Ich habe hart gespart, um mir von meinem Taschengeld alle möglichen Magazine zu kaufen, ich war eine von denen, bei der jeder Umzug wirklich anstrengend war, weil kartonweise gesammelte Magazine mit mussten. Bewundert habe ich vor allem die Fotografie. Die Modestrecken, Still Life war meine besondere Liebe. Das war ja auch irgendwie die goldene Zeit der Modefotografie – zumindest für unsere Generation. Die ganzen ikonischen Shootings, Peter Lindbergh, Mario Testino …
Mit 15 habe ich neben der Schule angefangen zu arbeiten, meinem Traum ein Stück näher, in der Pressefotografie. Überzeugt, dass ich irgendwann Fotografin werden würde, war mein Fernziel die Mode. Warum? Weil ich Einblick bekam, wie Nachrichten gemacht werden, insbesondere die schnellen: Da war für mich klar, dass ich mir ein möglichst unpolitisches, unkritisches Thema suchen wollte, weil schon damals echte Recherche selten war. In der Mode glaubte ich ein unproblematisches Feld gefunden zu haben. Frei nach dem Motto: Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Menschen Pink statt Lila wählen.
Genau, denn die letzten 20+ Jahre haben mir gezeigt, dass Mode alles andere als trivial ist. Mode ist zutiefst gesellschaftlich relevant und definitiv nicht neutral oder oberflächlich.
Auf eine gewisse Weise, ja. Meine journalistische Ausbildung in Mailand begann ich, weil ich dort, im Superstudio, eigentlich später Modefotografie studieren wollte. Ich dachte: Zuerst mache ich diesen Journalismuskurs, lerne Italienisch und dann mache ich weiter. Lustig, wieder war ein Magazin mein Sprungbrett: Ich las in der Marie Claire von einem Stipendium für die Schule, bewarb mich sehr spontan, hab es gewonnen und zog mit 19 nach Mailand. Die Ausbildung war sehr … italienisch, sagen wir – entspannt. Der Vormittag war für die Erstsemester, der Nachmittag für die Zweitsemester. Nach zwei Wochen ging ich zur Verwaltung und sagte: Das ist viel zu langsam; kann ich beide Jahre gleichzeitig machen? Sie haben zugestimmt, ein bisschen, weil ich diesen Wunderkind Status hatte, da ich zuvor an einem eigentlich sehr unspektakulären Österreich-Beileger der Elle mitgearbeitet habe. Aber für meinen Fame reichte das. (lacht)
Verantwortung scheuen junge Menschen, glaube ich, genauso wenig wie ich damals. Aber eine Karriere wie meine, in denen man mehr als 20 Jahre in verschiedenen Rollen in einem Unternehmen wächst und sich weiterentwickelt … das wird vielleicht seltener. Ich verstehe diesen Drang, sich immer wieder neu zu erfinden, sehr gut, ich selbst hatte einfach Glück, dass ich das innerhalb und außerhalb von style in progress konnte. Ich glaube, das ist die Herausforderung an Arbeitgeber: Zu versuchen, in diesen beruflichen Häutungen eines Arbeitnehmers an seiner Seite zu bleiben. Überleg mal, wie viel verschiedene Dinge ich hier bei style in progress gemacht habe, das ist ja nicht durchgehend ein Job. Und jetzt wandelt er sich wieder!
Wir brauchen eine intelligentere Darstellung unserer Branche. Es frustriert mich, wie verzerrt die Darstellung der Mode ist. Immer stehen die Extreme im Rampenlicht, die lila Haare und Latexröcke. So entsteht der Eindruck, dass man möglichst ausgeflippt sein muss, um in dieser Branche etwas zu erreichen. Das entspricht der Vielfalt an Jobs überhaupt nicht, da draußen ahnt keiner, dass man auch einen ganz schnöden Nine-to-five-Job in der Mode haben kann, wenn man will.
Absolut! In der Kommunikation sehe ich aktuell zwei gegensätzliche Trends. Auf der einen Seite erleben wir eine unglaubliche Amplifikation – Kommunikation ist dank KI und digitalen Tools viel einfacher herzustellen, jeder sendet alles. Das führt selbstredend zu einer Übersättigung und ich traue mich vorherzusagen, dass die Abkehr von diesem Doom-Scrolling auf Social Media 2025 ein großes Thema sein wird. Den Gegentrend kann man mit persönlicher Kommunikation setzen. Wenn sie authentisch ist und aus echter Verbundenheit entsteht, sticht sie aus dem Lärm umso mehr hervor. Aber gute Kommunikation beginnt für mich mit etwas ganz anderem.
Mit Zuhören. Geschichten erzählen können ist das eine, sie zu hören das andere. Das klingt wahnsinnig banal, aber ich sehe meine Rolle zunehmend im Zuhören und dann strukturieren, was von dem Gehörten wie erzählt werden muss. Damit man gehört wird, muss man sich trauen, Meinung und Haltung zu haben. Vage zu sein oder zu versuchen, alle anzusprechen, funktioniert schon lange nicht mehr. Das beste T-Shirt zu machen, reklamieren so viele Marken für sich – den Unterschied macht die Marke, die auch noch Meinung und Haltung mitliefert.
Genau. Der Versuch, möglichst für nichts zu stehen, um alle ansprechen zu können, ist gescheitert. Bestes Beispiel ist der Niedergang traditioneller Kaufhäuser. Die Menschen suchen Zugehörigkeit, aber zu etwas, was selbst nicht weiß, was es ist, kann man sich nicht zugehörig fühlen.
Unbedingt, mein Lieblingsbeispiel ist der Handel, ich finde, dass das Finden einer eigenen, unverwechselbaren Stimme für so viele Einzelhändler der Wendepunkt war: So entstehen Beziehungen. Wenn es nicht mehr darum geht, wo ich mein T-Shirt am billigsten oder am bequemsten, sondern am liebsten kaufe, weil ich mich zugehörig fühle.
Ich hab riesigen Optimismus, dass diese neuen Werte der Mode an sich ein neues Gesicht geben, getragen von Menschen, die Freude daran haben, etwas zu geben, etwas für andere besser zu machen. Das ist ein ziemlicher Paradigmenwechsel, oder?
Mein ursprünglicher Berufswunsch, etwas Oberflächliches, Unpolitisches, Neutrales zu machen, ist an spätestens diesem Punkt grandios gescheitert! (lacht) Weil ich so große Freude habe, diesen Wandel mit meinen Mitteln mitzugestalten. Transformation allerdings braucht kommunikative Ausdauer und manchmal kann man sie nicht nur herbeischreiben, sondern muss mit anpacken. Ärmel hoch und machen!
Ehrlich gesagt, habe ich da viel von der nachkommenden Generation gelernt. Unsere Generation verwechselt nämlich gerne Resilienz mit Hinnehmen. Die nachfolgende Generation fragt von Anfang an „Warum ist das so?“ und darauf ist „Ist halt so“ einfach keine befriedigende Antwort.
Sei kompromissbereiter, als du glaubst, aber kompromisslos in dem, woran du glaubst.
Jetzt kommen natürlich gleich die Big Names, was fast ein bisschen unfair ist – denn oft hat ein zufälliges Gespräch auf einem Messegang genauso lang in meinem Kopf nachgehallt und meine Gedanken geprägt. Aber natürlich liebe ich als Journalistin das Privileg, mit Menschen zu sprechen, die man eben nicht zufällig am Messegang trifft. Nathalie Massenet zum Beispiel war eine Naturgewalt. Wir waren mit dem Coverinterview wirklich früh dran und ich fand sie auf allen Ebenen großartig. Besonders als Führungskraft sehr inspirierend, die Betonung darauf, wie dankbar sie für die Leistungen ihres Teams war, fühlte sich sehr echt an. Bei Carlo Rivetti war es eine ganz andere Energie, aber genauso inspirierend. Ich erinnere mich, wie ich mit ihm die Archive und Labore von Stone Island besuchte, und die Art und Weise, wie er über jedes Stück sprach – als wäre es ein lebendiges Wesen – war faszinierend. Ich mochte diesen Schalk, der immer aus seinen Augen lugte. Egal wie tiefgründig er diskutierte, irgendwie war immer so ein kindliches Amüsement dabei. Ein Mensch, der nie aufgehört hat, staunen zu wollen.
Ich will meine Neutralität aufgeben – für Menschen, Marken und Orte, die mich teilweise schon länger begleiten, teilweise neue Projekte. Außerdem habe ich ein Versprechen einzulösen: Ich habe meiner großen Tochter versprochen, dass es einen Urlaub geben wird, in dem ich nicht am Handy oder Laptop bin. Sie wird 2025 zwölf – höchste Zeit, es wahr zu machen.