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The Longview

Draped in Belonging

13/01/2025  BY  Martina Müllner


„Wir müssen Risiken eingehen, auch wenn die Branche in der Krise steckt“

Mode ist ein fundamentaler Teil dessen, wer wir sind, formuliert Setchu-Gründer und Designer Satoshi Kuwata in einem inspirierenden Gespräch mit Herbert Hofmann, Vice President Creative & Buying bei Highsnobiety. Im Dialog halten die beiden mit Kritik an den marketinggetriebenen Aspekten der Mode nicht hinterm Berg und stellen ihre gemeinsame Liebe zum stationären Erlebnis fest: Als Ort, wo die Mode ihre volle Poesie entfalten kann. Mit Martina Müllner und Stephan Huber teilen Satoshi Kuwata und Herbert Hofmann ihre Vision von einer Handelslandschaft, in der Mode Werte zeigen und Zugehörigkeit schaffen kann.

Interview: Martina Müllner und Stephan Huber, Text: Martina Müllner. Illustration: Alexandre Wells

Martina Müllner: Satoshi, in einem Interview hast du gesagt, dass „man immer einen Sinn stiften muss“. Ein wunderbarer Start in unser Gespräch. Welchen Sinn stiften deine Produkte oder Kollektionen?

Satoshi Kuwata, Gründer von Setchu: Kleidung zu entwerfen, ist für mich so viel mehr, als etwas Stilvolles zu schaffen; es geht mir darum, Stücke zu kreieren, die Widerhall finden. Mode ist, wie Essen und Wohnen, ein ganz grundlegender Bestandteil dessen, wer wir sind. Jedes Stück sollte einen Sinn und Zweck haben und eine Geschichte oder ein Erlebnis widerspiegeln. Weil wir heute so große Auswahl haben, ist es meiner Meinung nach wichtig, mehr zu bieten – einen tieferen Wert, der die Wahl rechtfertigt.

Herbert Hofmann, Vice President Creative & Buying Highsnobiety: Das ist eine erfrischende Perspektive, Satoshi. Ich sehe den Einzelhandel auch als die Chance, diese Geschichten zu teilen, niemals nur als Ort, um Produkte zu verkaufen. Bei unserem Konzept bei Highsnobiety geht es nicht nur um Kleidung. Es geht darum, Gastgeber für Marken und Events zu sein und einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen von dem, was sie sehen und erleben, inspiriert fühlen.

M. Müllner: Ein wechselseitiges Plädoyer für mehr Echtheit. Satoshi, glaubst du, dass diese Geschichten online genauso gut erzählt werden können wie in Läden?

S. Kuwata: Das ist eine Herausforderung. Online hat man nicht die gleiche taktile, reale Verbindung zu den Stücken, was das Geschichtenerzählen erschwert. Oft schwingt diese Geschichte automatisch mit, wenn man persönlich interagiert, wenn man etwas anfasst. Ich habe den Eindruck, dass in einem rein digitalen Erlebnis etwas von dieser Magie verloren geht.

M. Müllner: Interessant! Herbert, erzähl uns, wie Highsnobiety dem begegnet?

H. Hofmann: Wir versuchen, es echt und nachvollziehbar zu halten. Unser Laden will mit der klassischen Vorstellung eines Shops als Ort der Transaktion brechen und zielt darauf ab, Momente und Verbindungen zu schaffen. Wir wollen, dass unser Space den Lebensstil unseres Publikums widerspiegelt, besonders hier in Berlin, wo den Menschen Individualität wichtiger ist als bestimmte Labels.

M. Müllner: Euer Laden will Platz für Erlebnisse sein. Hast du ein Best-practice-Beispiel für uns?

H. Hofmann: In unserer Sicht ist der Store in Berlin tatsächlich eine Plattform, auf der wir unterschiedlichste Marken hosten und Menschen zusammenbringen. Zum Beispiel haben wir kürzlich ein neues Produkt eines ungewöhnlichen Partners vorgestellt – McDonald’s, der seine Spicy Nuggets und eine Capsule-Kollektion mit dem Berliner Design- und Kreativstudio Sucuk und Bratwurst auf den Markt gebracht hat. Das war tatsächlich ein bisschen verrückt zu sehen, wie all diese coolen Szene-Berliner plötzlich total verrückt nach Chicken & Veggie Nuggets waren. Wir haben lange überlegt, ob wir das machen sollten, weil McDonald’s und Highsnobiety ja kein offensichtlicher Match ist, aber das ist unsere Stärke und ich bin überzeugt, dass wir ein Talent haben: Wir können Geschichten in einer einzigartigen, manchmal skurrilen Mischung erzählen, was dann genau das ist, was es für alle Beteiligten so unterhaltsam macht. Und wieder geht es um Realness – wir mögen alles Mögliche und manchmal eben auch McDonald’s.

S. Kuwata: Was du erzählst, entspricht einer Entwicklung, die ich sehr liebe: Mode wird immer mehr zur Teamleistung, auch in der Wahrnehmung. Es geht nicht mehr nur um den Designer, Es geht um alle Beteiligten, vom Einkäufer bis zum Marketingmitarbeiter. Es gibt diesen Shift hin zu Kollaboration und Inklusivität, den ich sehr begrüße.

H. Hofmann: Absolut, Satoshi. Und ein physischer Ort ist die weiße Leinwand, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen. Im Zusammenspiel können wir einzigartige Dinge präsentieren, die eine Geschichte erzählen oder zum Nachdenken anregen.

M. Müllner: Lasst uns noch mal in den „tieferen Sinn“ der Mode einsteigen, für den ihr beide so viel Leidenschaft habt. Satoshi, du hast eingangs erwähnt, dass Kleidungsstücke eine Bedeutung haben müssen, besonders auf dem heutigen gesättigten Markt. Wie fließt das in deine Herangehensweise als Designer ein?

S. Kuwata: Für mich geht es darum, etwas zu schaffen, das wegen seines Inhalts, nicht nur wegen seiner Optik auffällt. Ich komme aus sehr bescheidenen Verhältnissen, ich kenne die Sehnsucht nach etwas mit Substanz, nach etwas, das wertvoll ist. Wenn ich über Nachhaltigkeit nachdenke, dann ist das mein Zugang. Es geht mir nicht primär um umweltfreundliche Optionen in den Materialien, sondern zunächst um den Anspruch, etwas zu schaffen, was wirklich seinen Zweck erfüllt. Das ist eine fast philosophische Frage, denn auch ein T-Shirt für ein paar Dollar erfüllt seinen Zweck – also meine ich den darüber hinaus, die Daseinsberechtigung von etwas, das mehr als fünf Dollar kostet.

H. Hofmann: Ich kenne und teile diese Sehnsucht, als Händler wollen wir etwas Ähnliches, denn unsere Kunden kaufen nicht blind, sie wollen sich in den Produkten wiedererkennen. Wieder so ein Moment, in dem das Geschichtenerzählen ganz entscheidend ist: Um Produkte in überraschenden Umgebungen zu positionieren und in neuen Kontext zu bringen.

Stephan Huber: ich höre heraus, dass ihr beide die traditionelle Beziehung zwischen Designer, Händler und Konsument neu definiert. Einen Sinn, eine Bedeutung teilen und gemeinsam Geschichten erzählen – ist das der Schlüssel, um der Mode wieder mehr Bodenhaftung zu verleihen? Vor allem aber: Ist das auch wirtschaftlich ein langfristig tragfähiges Modell für den Handel, Herbert?

H. Hofmann: Ich glaube schon. Natürlich hat der Einzelhandel seine Ups and Downs, aber wenn man sich darauf konzentriert, ein einzigartiges Erlebnis zu schaffen und etwas mit Tiefe anzubieten, reagieren die Menschen positiv. Dabei ist so wichtig, dass wir nicht das Verkaufen in den Mittelpunkt stellen. Es geht darum, eine Community aufzubauen, die Kultur rund um die Mode zu teilen. Ganz wichtig: Wer Community will, braucht Meinung. Das ist mein Leitmotiv beim Einkaufen und Kuratieren, mit welchen Marken wir zusammenarbeiten wollen. Sorry, dass ich das so offen sage, aber es gibt so viele Dinge da draußen, die einfach wahnsinnig teuer sind und nichts bieten, mit dem man eine Beziehung aufbauen kann. Vor allem bei den großen Brands, wo sich irgendwie alles nur noch um den nächsten Hype dreht – da nehmen wir uns bei Highsnobiety sehr selbstbewusst das Recht heraus, diese Dinge nicht zu kaufen.

M. Müllner: Gut, aber ein nicht unwesentlicher Teil des Geschäftsmodells von Highsnobiety beruht auf Hype-Produkten und den begleitenden Events – wie das Projekt „Not in Paris“. Ein Widerspruch?

H. Hofmann: Ja, aber am Ende sind die Produkte, die wir bei „Not in Paris“ verkaufen, Embleme des Dazugehörens, nennen wir sie Souvenirs. Auch hier ist das, was wir handeln, viel eher das Dazugehören zu einer Community als ein Produkt. Daraus leite ich meine Prinzipien für den Einkauf für online oder den Laden in Berlin ab: Was gerade angesagt ist, interessiert uns überhaupt nicht. Wir suchen Marken, die innovativ sind, die eine eigene Stimme haben. Labels spielen dabei nicht die allergrößte Rolle. Wir suchen Geschichten und Perspektiven, die zu dem passen, was unsere Kundinnen unserer Meinung nach bei uns suchen. Voraussetzung dafür ist, dass wir im Buying selektiv sind und kaufen, was zu unserer Brand passt, nicht, was alle anderen kaufen. Wenn ich in einem Showroom bin und jemand versucht mir einzureden, ich soll kaufen, was alle anderen gekauft haben, bin ich raus. Denn das ist das genaue Gegenteil davon, was sich unsere Kundinnen erwarten. Ich finde es so essenzhiell, dass jeder Buyer seine Vision hat und seine Kunden im Auge behält und sie nicht künstlich erweitert, um es möglichst allen recht zu machen und bloß kein Geschäft auszulassen.

S. Kuwata: Das ist inspirierend, Herbert. Ich bin überzeugt, dass es bei den Menschen ankommt, wenn jemand seiner Vision treu bleibt. Dafür wird es immer Publikum geben, Menschen, die sich mit deiner Marke oder dir verbinden wollen, weil sie deine Leidenschaft schätzen. Der LVMH-Preis, den ich gewonnen habe, beinhaltet ein Mentoring und aus dem Preisgeld arbeite ich gerade an einer Modenschau. Aber um ehrlich zu sein, frage ich mich, ob Modenschauen immer noch der beste Weg sind, um meine Vision zu kommunizieren.

H. Hofmann: Auf eine gewisse Weise sind sie das, und ich liebe diese Momente, bei einer Show rauszugehen und wirklich inspiriert zu sein, weil ich mal wieder das Gefühl hatte, dass es um die Idee und die Kollektion geht und nicht um die Leute in der ersten Reihe und die Anzahl der geteilten Inhalte und den Wert der Reichweite, die die Marke aus diesem Event herausholt. John Galliano ist ein Genie in diesen Dingen: Zu Margiela in den Showroom zu kommen, war eines der echten Highlights während der Einkaufssaison, besonders, als jetzt alle anderen entweder Quiet Luxury oder Logo gepusht haben. Und dann kamst du in den Margiela-Showroom und dachtest: Ich weiß nicht, was das ist, ich weiß nicht, wie ich es tragen soll, aber es ist einfach unfassbar. Wie diese T-Shirts: in tausend Falten gelegt, dann gewachst, dann eine Schicht Klebstoff drüber – völlig verrückt! Ich mag diese Verrücktheit, ich schätze solche Stücke sehr, auch wenn ich mich selbst sehr schlicht kleide. Aber Produkte wie diese sind die magischen Momente, nach denen wir in der Mode suchen. Sie halten uns und das Modebusiness am Leben. Zu verstehen, wie viel Handwerkskunst in so einem Stück steckt, und sich die Zeit zu nehmen, die Idee und das Konzept einer Kollektion zu verstehen … All das ist nicht ganz einfach online zu zeigen. Diese Dinge machen in einem physischen Laden Sinn.

M. Müllner: Braucht der stationäre Handel also diese außergewöhnlichen Produkte?

H. Hofmann: Nein, bestimmt nicht ausschließlich, das wäre zu abgehoben. Ein Sortiment muss easy sein, es darf gerne auch unterhaltsame Dinge dazwischen geben, es muss Bodenhaftung haben. Auf dem Instagram-Account des Stores kehren wir zu einer sehr realen Art des Storytellings zurück. Ich mache ein schnelles Foto von einem Schuh, noch im Karton und zeige damit unseren Followern: Das ist der Schuh, so sieht er in Wirklichkeit aus, er ist jetzt bei uns im Laden, komm vorbei. Manchmal ist es so einfach.

M. Müllner: Die Berliner Art, rau und uncut?

H. Hofmann: Es hilft wirklich, in Berlin zu leben. Es ist sehr nah an dem, wie ich aufgewachsen bin. In Berlin geht es nicht um Show-off, nicht darum, seine schönen, glänzenden Schuhe in einem Restaurant auszuführen. Hier kann ich in meinem weißen T-Shirt, Nike-Shorts und Laufschuhen in das schickste Restaurant gehen. Und ich liebe das an Berlin: Die Stadt ist nicht davon angetrieben, dass man das Neueste hat oder trägt, sondern von Persönlichkeit. Im Einkauf frage ich mich also: Kann ich das tragen, wenn ich in Berlin auf einer Parkbank sitze und ein 50-Cent-Bier trinke? Diese Perspektive bei der tollsten Marke der Welt im beeindruckendsten Showroom ever nicht zu vergessen, ist die Kunst im Buying. Niemals zu vergessen, woher man kommt und an wen man verkauft. Denn das Parkbank-Szenario ist Realität in Berlin. Würde jemand dafür ein weißes Seidenkleid für 3.500 Euro anziehen? Nein! In Berlin haben wir kaum diese Orte, wo man nur hingeht, um zu zeigen, was man sich gerade neu gekauft hat. Ich muss im Einkauf also meiner Linie treu bleiben, wenn ich kommerziell erfolgreich sein will. Eine Kundin, die in Berlin vor besagtem 3.500 Euro Slipdress steht, würden wir vor den Kopf stoßen. Selbstverständlich verkaufen wir auch teure Dinge, aber nur, wenn wir den Preis aus dem Produkt rechtfertigen können. Wenn man sehen und fühlen kann, wie viel Arbeit und Idee in das Teil geflossen ist – wie bei dem Margiela-T-Shirt von John Galliano. So was zeigen wir liebend gerne. Aber Bodenhaftung und es real zu halten, wird immer sehr, sehr wichtig für meine Vision im Buying und unser Konzept bleiben.

S. Huber: Es klingt ein bisschen, als ob diese einzigartigen Produkte – diejenigen, die Mode mit Kunst und Design verbinden – die Zukunft der Mode sind. Und dass sie mehr Resonanz finden, wenn man sie persönlich in einem Laden präsentiert bekommt. Richtig zusammengefasst?

H. Hofmann: Auf jeden Fall. Persönliche Interaktion macht alles einfacher, aber ich verstehe sie nicht als zwingend – auch wenn man einfach durch den Laden schlendert, haben solche Produkte die Kraft, Menschen zu überzeugen. Mein liebstes Beispiel dafür war ein Inside-out-Hoodie, den Acne Studios vor elf, zwölf Jahren gemacht hat. Die Frottee-Innenseite war außen. Damals war ich noch im Voo Store, wir haben 15 davon gekauft, einfach weil sie anders waren und einen einigermaßen vernünftigen Preis hatten. Am ersten Tag waren schon vier davon verkauft. Da habe ich verstanden: Die Konsumentinnen kaufen auch nicht anders als ich es im Showroom tue. Wenn ich durchgehe und plötzlich stoppe, weil ich mir denke: Wow, das hab ich noch nie gesehen. Persönlich immer noch einfacher zu vermitteln, aber natürlich ist unser Job auch, das online zu transportieren.

M. Müllner: Sind Socials nicht der perfekte Ort, um das einzufangen und zu zeigen?

H. Hofmann: Das sind sie, aber sie haben sich stark verändert. In den Anfängen von Instagram haben wir die Leute auf diese Reise mitgenommen – wir haben sie in Showrooms mitgenommen und Inhalte hinter den Kulissen gepostet. Dieser persönliche Ansatz hat unsere Fangemeinde wachsen lassen. Das geschah alles sehr organisch, ich werde nie vergessen, wie ich einmal unser Instagram hab explodieren lassen, weil ich einen Sneaker gepostet habe, den Kanye West im Adidas-Showroom trug. Ich habe mir richtig Ärger eingehandelt, weil der Sneaker eigentlich noch nicht gezeigt werden sollte (lacht). Heute ist Instagram viel kommerzieller, und dieser ursprüngliche, ungefilterte Geist ist weg.

S. Kuwata: Unsere heutige Welt ist eine permanente Gelegenheit, eine Geschichte zu erzählen und damit unmittelbar eine Handlung auszulösen. Menschen entscheiden in Sekundenschnelle, ob ihnen etwas gefällt. Deshalb halte ich es einfach – ich teile nur die Inspiration hinter meiner Arbeit. Social Media ist in meinen Augen zu marktgetrieben geworden. Zu Beginn war Instagram so pur, jetzt dreht sich alles um Verkauf. Es stimmt mich traurig, diese Kommerzialisierung zu beobachten, alle sind so sehr darauf fixiert, was als nächstes kommt, und hüpfen von einem Hype zum nächsten. Meine Intention ist es, die Leute immer wieder zu überraschen, aber auch zu hinterfragen, ob Dinge wie Modenschauen überhaupt noch notwendig sind. Ich lerne viel von LVMH, und sie rufen mir immer wieder in Erinnerung: Ja, Schauen sind unerlässlich, auch wenn ich nicht immer das Budget dafür habe. Die Balance zwischen Kreativität und Businessrealität ist ganz schön seltsam.

S. Huber: Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Mode einen Wandel braucht. Wie kann der in unserer Social Media und Marketing getriebenen Welt aussehen – und wie können wir dafür sorgen, dass der Wandel nicht darin besteht, dass wir aufhören zu konsumieren?

S. Kuwata: Für mich geht es darum, Orte zu finden, in denen echter Ausdruck möglich ist – wie Pop-ups oder Veranstaltungen, die nicht immer an ein riesiges Budget gebunden sein müssen. Ja, es ist wichtig, dass das Geschäft weiterläuft, aber wir sind zu konservativ geworden. Alle sprechen gerade von Quiet Luxury“, aber was bedeutet das überhaupt? Mode sollte aufregend sein, so wie ich sie erlebt habe, als ich in London am St. Martin’s war. Damals hat es Spaß gemacht, auf Events in Läden zu gehen, überall waren irgendwelche Pop-ups und die Menschen haben besondere Stücke zu würdigen gewusst. Jetzt? Sind die Dinge einfach … quiet. Wir brauchen mehr Akteure, die bereit sind, Risiken einzugehen, auch wenn die Branche in der Krise steckt. Ich habe meine Marke mitten in der Pandemie gegründet, gegen jeden Rat, und es hat funktioniert, weil niemand anderes riskiert hat. Das hat mich gelehrt, meiner Vision zu vertrauen, auch wenn andere sie nicht sehen.

M. Müllner: Brauchen wir wieder mehr Spaß?

S. Kuwata: Absolut, aber solange man es nicht versucht, werden sich auch keine Ergebnisse einstellen. In der aktuellen Krise scheuen alle das Risiko. Als Setchu auf den Markt kam, wusste ich, dass es riskant ist – aber was hätte ich tun sollen? Auf Nummer sicher spielen wie all die anderen? Es hat sich gelohnt! Wir müssen zurück zu diesem Geist, dass Designer auch – oder gerade – in schwierigen Zeiten Experimente wagen dürfen. Andernfalls ersticken wir die Kreativität, die Mode spannend macht.

S. Huber: Alles, worüber wir in der letzten Stunde gesprochen haben, ist das genaue Gegenteil von dem, wie die Mode heute funktioniert. Müssen wir das saisonale Konzept aufbrechen?

H. Hofmann: Ich würde mich freuen, wenn das passieren würde, aber ich sehe es nicht kommen. Marken bauen so sehr auf das ständige Streben nach Neuheit, damit sie den Umsatz hoch halten können und verkürzen damit die Haltbarkeit eines Produktes immer weiter. Es frustriert einfach ungemein, wenn in dem Moment, in dem man was Schönes ausgepackt und ins Regal gehängt hat, schon jemand den Mid-Season-Sale, Halloween-Sale oder was auch immer startet. Man versteht gar nicht mehr, in welchem Sale man gerade ist – ist das noch Sommer oder schon Winter? Dieser ständige Kreislauf untergräbt den Wert, niemand will mehr den vollen Preis bezahlen. Nicht mal ich selbst bin bereit, diese Preise zu zahlen, für mich selbst kaufe ich überwiegend bei Vestiaire oder Ebay, ich bin gerade sehr in der Vintage-Prada-Phase. Aber selbst die Preise für Vintage gehen jetzt durch die Decke! Ich bete meinem Team ständig vor, wie wichtig es ist, sensibel bei Preisen zu sein, und sage ihnen dauernd: Denkt einfach nach, wie viel ihr verdient und was in Relation dazu diese Jacke kosten soll, und hört nicht auf, euch zu fragen, wie oft ihr das Teil wirklich tragen werdet.

S. Huber: Ist seasonless die Antwort?

H. Hofmann: Vielleicht wäre es das, aber am Ende scheitert es an der Systematik unserer Branche. Ich erinnere mich an ein Interview mit den Designern von Acronym, da haben wir über diese ACG-Jacke gesprochen, die sie für Nike gemacht haben. Sie ist perfekt – vielseitig, komfortabel, wunderschön verarbeitet. Ich fragte: Warum bringt ihr sie nicht einfach in neuen Farben, anstatt jede Saison eine neue Jacke zu entwerfen? Ihre Antwort war: „Guter Gedanke, aber es funktioniert nun mal so, dass Marken immer wieder neue Dinge zeigen müssen. Selbstverständlich hast du Recht, natürlich finden wir auch, dass man nichts an dieser Jacke ändern muss, weil ja auch wir Träger uns nicht nach einer Saison verändert haben – aber so ist es eben.“

M. Müllner: Aber es ist doch genau dieses ständige Hecheln nach Neuigkeit, das alles kaputt macht, von Ressourcen bis zur mentalen Gesundheit der Menschen in der Mode.

H. Hofmann: Ja, und immer mehr Menschen verstehen, dass das Meiste von dieser vermeintlichen Neuigkeit erfunden ist. Das Gefühl der Dringlichkeit ist abhandengekommen. Jeder weiß, wenn er ein paar Monate wartet, ist dieser Artikel im Sale. Wir hatten alle die Hoffnung, dass das Quiet-Luxury-Konzept helfen könnte, aber mit einem Wimpernschlag war es auch nur noch ein Modewort. Quiet Luxury ist jetzt nur ein weiterer Trend, ein Begriff so leer wie Must-Haves oder Bestseller. Ich persönlich möchte nicht, dass meine Garderobe aus Bestsellern besteht.

M. Müllner: Für Dinge wie Satoshis Produkte, die Sinn über Hype stellen, brauchen wir eine neue Sprache, ein neues Vokabular.

H. Hofmann: Ja, was unglaublich schwierig ist, denn sobald etwas wie Quiet Luxury zum Trend wird, verliert es seine Wirkung. Die Industrie kapert den Begriff aus Marketinggründen. Ich versuche, mich dagegen zu stemmen. Ich finde es albern, unseren Kundinnen Produkte anzubieten, nur weil sie auf einem Werbeplakat zu sehen sind. Ich möchte, dass die Menschen ihren eigenen Instinkten trauen, anstatt blind nachzukaufen, was ihnen vermarket wird.

M. Müllner: Im Deutschen haben wir nicht einmal ein Wort für etwas Zeitloses und Schönes, das man am liebsten für immer Kleiderschrank haben möchte. Wie nennt man das auf Japanisch, Satoshi?

S. Kuwata: Auf Japanisch nennen wir es schön. Einfach nur schön.

S. Huber: Auf Deutsch nennen wir es Durchläufer. (Alle fangen an zu lachen.)

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