MadC: Lustig, dass du das ansprichst. Mein Steuerberater meint nämlich auch, ich solle mich nicht mehr als freiberufliche Künstlerin sehen, sondern als Marke. Das hat meine Sichtweise verändert. Ursprünglich habe ich mit Graffiti angefangen, was für mich als Jugendliche sehr prägend war. Ich habe nach meiner Identität gesucht, wollte mich an der Gesellschaft reiben. Dazu kam, dass Streetart eine weltweit vernetzte Kultur und Community ist. Alles sehr anziehend, wenn du aus einem Kaff in Ostdeutschland stammst. Über Jahre hinweg habe ich mir einen Namen als Graffiti-Künstlerin gemacht, lokal, überregional, irgendwann dann international. Das war eine ungemein spannende Reise. Nicht zuletzt als Frau in einer doch sehr männlich definierten Community. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich weiterentwickeln muss. Graffiti hat viele Regeln und Codes und ich wollte darüber hinauswachsen. Also begann ich, abstrakter zu arbeiten und auf Leinwand zu malen. Das war ein Bruch mit dem, was ich vorher gemacht habe, und einige Leute waren schockiert oder haben sich sogar abgewandt. Andererseits habe ich auch viele neue Anhänger gewonnen.
Marco Götz: Das ist eine interessante Parallele. Man fängt mit etwas an, sehr konsequent, hat eine klare Richtung. Dann wendet man sich an ein immer breiteres Publikum, Konsumenten, Follower oder Fans und versucht, zu wachsen. Manche Leute bleiben stehen, weil sie keine Veränderung wollen, also muss man entscheiden, wie weit man sich entwickelt und wen man mitnimmt. Denn man kann nicht stillstehen, man muss sich weiterentwickeln. Die Herausforderung als Unternehmen oder eben Marke besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden, das die Dinge einerseits glaubwürdig, aber eben auch kommerziell erfolgreich macht.
MadC: Entweder man fällt oder wächst. Wenn man wachsen will, muss man sich ständig weiterentwickeln. Man kann und darf nicht stillstehen. In der Graffiti-Szene vielleicht schon, aber nicht in der Kunst. Das ist aufregend und herausfordernd.
MadC: Ich bin mir in diesem langen Entwicklungsprozess doch immer treu geblieben. Ich habe auch meinen Namen beibehalten: MadC. Manche Künstler wechseln in Galerien zu ihren bürgerlichen Namen und löschen ihre Graffiti-Wurzeln aus – ich nicht. Meine Graffiti-Vergangenheit ist entscheidend für meine Identität als Künstlerin.
Marco Götz: Je länger man im Spiel ist, desto mehr wird man getestet. Ich wäre oft gerne schon viel weiter oder radikaler. Aber wie disruptiv darf ich denn überhaupt sein als Unternehmer und als Marke? Was sind meine Ziele? Was kann ich noch erreichen? Und wen kann ich dafür begeistern? Das ist die eigentliche Herausforderung. Mit der Zeit verliert man die Flexibilität, alles auszuprobieren. Das ist auch ganz natürlich, weil es für ein Unternehmen auch um Planbarkeit geht. Um völlig neue Wege zu gehen, muss man vielleicht auch etwas völlig Neues an den Start bringen. Aber das mache ich erst mal unter dem Radar. Wie beispielsweise unser Kunstprojekt „Copyshop“.
MadC: Es ist nie nur eine persönliche Reise, sie wirkt sich auch auf deine Follower oder auch Kunden aus und bindet sie ein. Nicht alle machen mit, aber viele werden durch gesellschaftliche Veränderungen offener. Die Entwicklung der Streetart zu mehr figurativen Styles hat sie zugänglicher gemacht. Darüber hinaus wurde das kommerzielle Potenzial der Kunst erkannt, vor allem in den USA. In Miami beispielsweise hat die Kunst die Immobilienpreise erheblich in die Höhe getrieben, ein Phänomen, das auch in Orten wie Soho in New York zu beobachten ist. Wenn Kunst kommt, wertet sie die gesamte Gegend auf.
Marco Götz: Ich beschäftige mich erst seit etwa 15 Jahren wirklich intensiv mit Kunst. Was ich irgendwie bedaure, aber davor hatte ich einfach einen völlig anderen Alltag. Den Zugang habe ich zunächst vor allem über Einladungen zu Vernissagen oder von Kunst Institutionen gefunden. Aber irgendwie habe ich mich nicht willkommen gefühlt. Die Kunstszene wirkte sehr distanziert, fast abweisend. Ich war einfach ein potenzieller Käufer, mehr nicht.
Ein prägendes Erlebnis war das 25-jährige Drykorn-Jubiläum, das wir gemeinsam mit dem Kunstprojekt „Copyshop“ im Rahmen einer wirklich außergewöhnlichen Ausstellung gefeiert haben – direkt am Frankfurter Mainufer im alten Zollgebäude, neben dem Städel Museum. Darum haben wir auch jungen, aufstrebenden Künstlern Raum für eine Ausstellung geboten. Einfach um gemeinsam und interdisziplinär etwas Cooles zu machen. Obwohl wir uns wirklich sehr bemüht haben und trotz Unterstützung durch den Frankfurter Senat hat das Städel letztlich abgesagt. Weil „unsere“ Künstler keinen akademischen Abschluss hatten. Fast 30.000 Menschen haben unsere Veranstaltung besucht, alle hatten eine tolle Zeit. Es wurde auch wirklich viel gekauft. Verrückt, oder?
MadC: Das ist sehr, sehr deutsch.
MadC: Die klassische Kunstszene ist in ihrem Habitus tatsächlich sehr elitär. Das war schon immer so. Man hat auch lange versucht, die Graffiti-Szene auszugrenzen, weil man sie nicht kontrollieren konnte. Kontrolle ist in diesem Business extrem wichtig. Dabei sollte Kunst möglichst einfach zugänglich sein.
MadC: Irgendwie war ich ja immer Außenseiterin. Anfangs als Mädchen im tiefen Osten in der Graffiti-Szene, dann erneut bei meinem Weg in die akademische Kunstwelt. Ich wurde extrem skeptisch betrachtet und ich musste mich erst beweisen, bevor ich akzeptiert worden bin. In Deutschland bessert sich die Situation — dieses Jahr bin ich bei zwei großartigen Ausstellungen vertreten. Zum einen im Museum Reinhard Ernst, zum anderen im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Aber es war ein harter Weg. Man braucht ein dickes Fell und ein bescheidenes Ego, besonders wenn jemand deine Anwesenheit oder Absichten in Frage stellt. Bleib einfach cool, behaupte dich, und dann ist alles gut. Und es hilft enorm, nicht ausschließlich von der Akzeptanz anderer abhängig zu sein. Wenn ich hier nicht ausstellen kann, finde ich eben woanders Platz. Diese Unabhängigkeit ist entscheidend.
MadC: Das ist wirklich faszinierend, denn das ist genau das, woran ich gerade in meinem Studio arbeite. Im Jahr 2022 habe ich eine NFT-Serie mit Heni in London herausgebracht. Ich habe mich mit einem Programmierer zusammengetan, um einen Algorithmus zu entwickeln, der in meinem Stil malt. Aber ich wollte, dass es klar ist, dass es zwar mein Stil ist, aber eben nicht ich selbst. Wir haben auch ein zweites Programm entwickelt, das lernt, eigene Titel zu generieren. Und noch ein drittes Programm, um die Bilder zu lesen und mit den Titeln abzugleichen. Jetzt habe ich diese Serie aufgegriffen und darauf reagiert, indem ich Leinwände gemalt habe, die von diesen digital generierten Bildern inspiriert sind. In diesem Jahr wird es in London eine Ausstellung geben, in der diese Ping-Pong-Dynamik gezeigt wird.
MadC: Ja, ich nehme es an. Es erinnert an die Zeit, als die Leute dachten, das Fernsehen würde das Radio verdrängen. Neue Medien ergänzen die alten, aber eher, als dass sie sie ersetzen. Vinyl-Schallplatten gibt es immer noch, vielleicht nicht mehr so viele, aber sie sind noch da. Deep Machine Learning ist jedoch eine andere Sache mit bisher unerreichter Wirkung. Aber wer sind am Ende die Konsumenten? Es sind Menschen. Und im Allgemeinen schätzen Menschen das, was von anderen Menschen geschaffen wurde. Wir bewundern alte Städte, Gemälde, Handwerk, Bücher, Musik. Menschen, die sozusagen ihr Handwerk beherrschen, ob in der Kunst, Mode oder Musik, werden weiterhin gesucht sein. Vielleicht sogar noch intensiver als bislang.
Marco Götz: Und schon wieder so eine Parallele – sehr spannend. Wir haben mit Drykorn alle unsere Lookbooks und die meisten unserer Fotoshootings seit über 20 Jahren mit demselben Fotografen gemacht. Er hat eine Sammlung von mehr als 35.000 Bilder. Wir verwenden jetzt einen speziellen Algorithmus, um aus diesem riesigen Archiv eine Drykorn-DNA zu entwickeln. Ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommt, aber ich befürchte, es wird ziemlich gut sein. Ich bin hin- und hergerissen, denn einerseits bin ich gespannt, wohin das führt, aber andererseits liebe ich den kreativen Prozess mit Produkten, Stoffen und Menschen. Im Idealfall geht das alles nahtlos ineinander über, aber ich weiß noch nicht, wie das funktionieren wird.
MadC: Diesen inneren Widerspruch, also die Faszination einerseits und die Frage der Beherrschbarkeit andererseits, kann ich sehr gut nachvollziehen.
MadC: Ich glaube, es ist entscheidend, sich vom aktuellen Transformationsprozess nicht einfach treiben zu lassen, sondern ihn aktiv mitzugestalten. KI generierte Kunst, eigenständig oder als Fakes, ist Realität. Dem muss ich mich stellen. Will ich auch, weil es immer spannend ist, Neuland zu betreten.
MadC: Das ist eine sehr spannende Frage. Heute bietet ein Bild auf Instagram schlicht nicht annähernd die Intensität wie eine 50 Meter hohe Wand, vor der du stehst. Und Onlineshopping beeindruckt kaum so wie ein persönliches Einkaufserlebnis an einem besonderen Ort. Diese multisensorischen Erfahrungen sind einzigartig und prägen uns.
Marco Götz: Gott sei Dank ist das so! Der Wert von Musik hat durch Dauerverfügbarkeit auf Spotify und anderen Plattformen massiv gelitten. Ähnlich bei Bildern: Ich habe tausende Screenshots auf meinem Handy und keine Zeit, sie zu verarbeiten. Früher haben wir mit Drykorn sehr aufwändige Fotokampagnen gemacht. Die funktionieren auf Social Media gar nicht, weil sie zu komplex und nicht plakativ genug sind. Wenn wir stattdessen ein Mixed-Reality-Projekt machen, wie einen virtuellen Schal, der vor dem KaDeWe abgerollt wird: fünf Millionen Reach. Auch cool. Aber der künstlerische Anspruch ändert sich radikal. Algorithmen bestimmen heute, was wir sehen. Als Modemarke kann ich mich dem nur schwer entziehen. Aber Kunst sollte nicht von Algorithmen diktiert werden.
MadC: Und wir sollten uns nicht zu Sklaven der Algorithmen machen.
Marco Götz: Egal auf welchem Format oder in welchem Medium, es geht immer um Glaubwürdigkeit innerhalb der Community, die du dir aufgebaut hast. Claudia macht das außergewöhnlich authentisch auf Instagram. Sie verbindet ihre Kunst immer mit ihrer Persönlichkeit. Es wirkt, als würde man einer Freundin dabei zusehen, wie sie ständig coole Sachen macht. In der Mode ist es schwieriger eine so präzise Erzählung durchzuhalten.
MadC: Nicht zuletzt muss Mode dem menschlichen Körper folgen, anders als bei meiner Kunst, bei der ich wählen kann, was ich darstelle. In der Mode bist du durch die Anatomie eingeschränkt. Algorithmen und Videoplattformen wie Tiktok bieten neue Wege, aber die Einschränkungen bleiben. Mode kann nicht so leicht überraschen; ihre Form ist vorhersehbar.
Marco Götz: In digitalen Welten wie Roblox oder dem Metaverse gelten bestimmte Regeln natürlich nicht, an die ich mit Drykorn gebunden bin. Ich muss physische Produkte an echte Menschen verkaufen. Ich darf meine Follower, also die Konsumenten, zwar fordern, aber eben nicht überfordern. Das ist ein anderer Weg mit notwendigen Kompromissen. Ich bewundere deine kreative Freiheit, die ich als Unternehmen nicht in dieser Radikalität ausschöpfen kann.
MadC: Ich bin auch nicht komplett frei. Die Leute kennen meinen Stil und meine Person. Wenn ich plötzlich etwas völlig anderes mache, müsste ich das in meine Marke integrieren oder neu anfangen. Wir beide müssen unser Publikum mitnehmen, wenn wir davon leben wollen, auch wenn mein Ansatz freier ist.
MadC: Ganz genau. Kunst war schon immer mit Kommerz verbunden. Das hat sie überhaupt erst zur Kunst gemacht. Davor war es Handwerk. Ich sehe nichts Falsches daran.
Marco Götz: Ich sehe auch nichts Falsches daran. Ich finde es sogar großartig, wenn jemand etwas so Cooles schafft, dass andere bereit sind, dafür zu bezahlen.
MadC: Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man etwas macht, um viel Geld zu verdienen, oder ob man etwas aus Leidenschaft macht und das dann Geld einbringt.
Marco Götz: Das ist etwas, was wir beide teilen. Natürlich muss ich auch Geld verdienen, aber ich mache das, was ich mache, weil es mir Spaß macht. Ich liebe meine Arbeit. Wahrscheinlich könnte ich jetzt aufhören und eine Weile über die Runden kommen, aber ich genieße den Prozess, die Arbeit am Produkt, das Zusammenführen von allem, das Erforschen neuer Wege und die Verbindung mit Menschen. Ich mache es, weil es mich glücklich macht, nicht nur wegen des Geldes.
Perfektes Schlusswort. Vielen Dank.