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Rasmus Storm

„Es geht um Relevanz, nicht um Perfektion“

23/01/2025  BY  style in progress


Wenn Ihr Glaube an die Redlichkeit unserer Branche ins Wanken gerät, unterhalten Sie sich am besten mal mit Rasmus Storm. Ich jedenfalls habe dabei eine Menge gelernt. Über seinen beachtlichen Weg vom Schulabbrecher zum Chef von Storm, einem der führenden Conceptstores weltweit. Über die drei goldenen Regeln in seiner Familie – und über Relevanz.

Interview: Stephan Huber. Text: Petrina Engelke. Fotos: Storm

Rasmus Storm, Inhaber Storm: (schaut auf eine Nachricht) Oh, das erinnert mich an etwas – heute ist ein besonderer Tag. Ein Freund soll ein Poster von unserer Ladeneröffnung vorbeibringen und darauf stand 10-29-94. Das heißt, wir führen dieses Interview an unserem 30. Jahrestag.

Was für ein Zufall, Wahnsinn! Da fühle ich mich geehrt. Es gab also ein Poster zur Eröffnung?

Ja, und zwar ganz schlicht, aus der Not heraus. Auf dem Poster stand nur das Logo – ein S in einem Kreis – und das Datum. Keiner wusste damals, was auf ihn zukommt.

Das war für den allerersten Laden?

Genau. Das war ein winziger Laden in einer Gegend, die damals ziemlich heruntergekommen war. Dort war es zwar günstig, aber die spannenden Sachen spielten sich vor 30 Jahren allesamt in der Innenstadt von Kopenhagen ab. Außerhalb gab es kaum erwähnenswerte Läden.

Zum Logo von Storm gehört heute der Slogan „Design, Art, Fashion“. Die Reihenfolge fällt mir auf, denn Storm hat ja als Modeladen angefangen. Warum steht Mode jetzt an letzter Stelle?

Ehrlich gesagt, klingt es so einfach am besten, wenn du es laut sagst. Das ist der Hauptgrund. Außerdem soll es widerspiegeln, wofür wir stehen. Uns interessiert nicht nur Mode, sondern auch Kunst. Das gilt besonders für mich persönlich. Ich habe ein starkes Interesse an Kunst und Ästhetik.

Wie kommt’s?

Ich komme aus einem kreativen Elternhaus. Meine Mutter ist Künstlerin und sie hatte einen unglaublichen Sinn für Farben und Komposition. Sie wusste bestens, wie die Dinge zusammenpassen. Das hat meine Wahrnehmung von Farben, Kunst und Design geprägt. Mir fällt es leicht, Dinge auszusuchen und so zusammenzustellen, dass es passt.

Das ist also einfach deine Art, die Welt zu sehen?

Genau. Es geht um die Fantasie.

Apropos Jugendzeit: Du hast einmal gesagt, es habe dich sehr geprägt, dass du in jungen Jahren in Bayern in der Herstellung von Sandstrahlgebläsen gearbeitet hast.

Das hat mich definitiv geprägt. In diesem Job habe ich gelernt, mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten umzugehen. Ich kam aus einem intellektuellen Haushalt – ohne materiellen, dafür aber mit geistigem Reichtum. Mein Vater ist Psychiater, meine Mutter Künstlerin, wie gesagt. Wir kamen zwar aus Kopenhagen, aber ich wuchs in einer Kleinstadt auf. Väterlicherseits ist die Familie im Kulturbereich tätig – Journalisten, Lektoren und so. Mein Großvater war in den 1960ern ein prominenter Kulturredakteur, er hat in seiner riesigen Wohnung famose Dinner mit Schriftstellern und Künstlern veranstaltet.

Was für ein familiärer Hintergrund!

Stimmt, aber ich habe mich dem entzogen. Ich habe die Schule abgebrochen und mit 16 in einer Fabrik angefangen. So kam ich letztlich nach München. Früh hart zu arbeiten, besonders in so einem Umfeld, hat mich viel über Menschen und das Leben gelehrt. Es hat meinen Horizont erweitert.

Du meinst durch die Menschen aus anderen Schichten?

Genau. Das hat mich gelehrt, jeden als Menschen zu achten, egal woher er kommt. Und auch, mich in verschiedenen Gesellschaftsschichten zurechtzufinden. Damals habe ich sehr viel über Demut und Respekt gelernt.

Meinst du, auf diese Erfahrung baut auch dein Erfolg als Unternehmer mit auf?

Ich glaube schon. In den pompösen oder hochnäsigen Ecken der Luxusindustrie habe ich mich immer etwas fehl am Platz gefühlt. Ich fühle mich unter Fabrikarbeitern wohler als in übermäßig eleganter Umgebung. Deshalb schätze ich Gelegenheiten, mit Fabriken zu arbeiten oder mit den Leuten dort zu sprechen. Von ihnen lerne ich so viel.

Gleichzeitig hast du aber Beziehungen zu einigen der größten Namen in der Mode aufgebaut –Virgil Abloh, Jerry Lorenzo und anderen. Wie bringst du das zusammen?

Das ist für mich ganz einfach: Ich sehe die nicht als berühmte Figuren, sondern als Menschen, die dieselben Werte und Interessen haben wie ich. Denn entscheidend ist doch die Verbundenheit auf der zwischenmenschlichen Ebene.

Wie kommt ein kleiner Laden aus Kopenhagen an solche Designer?

Das hat sich einfach ergeben. Man trifft zufällig Leute, unterhält sich und stellt fest, dass man ähnliche Ideen, Interessen oder Inspirationsquellen hat. Auf dieser Basis entstehen dann Beziehungen.

Du schaffst es, gleichzeitig Avantgarde zu sein und einem, sagen wir mal: Kleinstadtrespekt, die Stange zu halten. Klar, Kopenhagen ist international, aber nicht auf einer Linie mit Paris oder New York.

Absolut. Und ich glaube, das war schon immer ein Vorteil. Noch vor 15 oder 20 Jahren war Kopenhagen nicht die Stadt, die sie heute ist. Sie war viel kleiner, als ich Storm 1994 eröffnete. Ich war ein Jungspund mit einem Traum, wollte mein eigenes kleines Universum erschaffen. Darin wollte ich alles zusammenbringen, was mich zu dieser Zeit inspirierte, und das war nicht nur Mode. Mir ging es darum, verschiedene Ideen zu kombinieren und etwas Freies, Einzigartiges zu schaffen. Ich setzte mir in den Kopf, alles, was ich spannend fand, zu kuratieren – Sonnenbrillen Parfüm, Unterwäsche, Schmuck. Bald darauf fuhr ich zum Einkauf nach Paris. Damals gab es da nur eine Messe.

Die SEHM, richtig?

Genau die. Dort gab es eine winzige Abteilung für Indie-Marken. Wer einen Designerladen hatte, stand da zum Messebeginn auf der Matte, warf mit Visitenkarten um sich und versuchte, das neue Zeug zu ergattern.

Ein ganz schöner Rummel.

Definitiv. Man geht zu einem Stand, sagt: „Das ist interessant“, und sie halten eine Visitenkarte hoch und sagen: „Wir arbeiten schon mit einem Kopenhagener Laden.“ So lief das.

Was war bei diesen Reisen dein erster „Fashion Crush“, eine Marke oder ein Designer, der dich umgehauen hat?

Oh, ganz klar Dirk Bikkembergs.

Interessant!

Als ich anfing, nach Paris zu fahren, war Bikkembergs einer der Top drei in der Herrenmode. Marken wie Dior beherrschten die Modelandschaft damals noch nicht, die Belgier waren am Zug – Bikkembergs, Margiela und Konsorten.

Für einen kleinen Laden aus dem Außendeichland von Kopenhagen muss es dann fast unmöglich gewesen sein, eine Marke wie Bikkembergs anzubieten.

Allerdings! Ich hab nicht geglaubt, dass das klappen könnte. Er hat nur mit den besten Läden gearbeitet. Aber ich hab mein Glück versucht und sie kontaktiert, und zwar nicht per E-Mail, sondern per Fax!

Ach, die analogen Zeiten.

Total! Und ich war überrascht, dass sie mich nach Antwerpen einluden. Ich war ja nur ein junger, unbekannter Typ. Aber ich fuhr natürlich hin und traf mich mit einem sehr netten Bikkembergs-Mitarbeiter, der mir Zugang zu der Marke verschaffte. Für meine erste Bestellung musste ich das Geld zusammenkratzen. Aber es funktionierte. Noch cooler war, dass er mir den damaligen Bikkembergs-Praktikanten Dirk Schönberger vorstellte. Der hatte gerade seine eigene Modelinie gestartet und ich bekam sie als einer der Ersten zu Gesicht. Sein Partner und er holten mich mit einem Minivan vom Flughafen ab, fuhren mich zu ihrer Wohnung und zeigten mir seine erste Kollektion. Das war surreal.

Eine schöne Erinnerung?

Ja! Als wir durch Antwerpen fuhren, empfahl mir Schönberger noch Veronique Branquinho. Später probierte ich in einem Schuhladen Stiefel an und erzählte der Verkäuferin, dass ich gerade Schönberger getroffen hatte. Ich erwähnte auch Veronique Branquinho. Die Verkäuferin schaute mich an und sagte: „Das bin ich!“ Das war echt eine Sternstunde. So ein offener Geist prägte damals die Branche – die Leute redeten ganz offen über Kontakte, Träume und Ideen. Allen ging es darum, Verbindungen herzustellen und etwas Sinnvolles zusammen aufzubauen. Es war eine prägende Zeit für mich und für Storm, mich mit diesen tollen Leuten aus der Branche anzufreunden. Mit diesen Verbindungen konnte ich ein Netzwerk aufbauen, das den Laden auf eine neue Ebene hob. Bald darauf sind wir in die Innenstadt gezogen. Auch das war ein Wendepunkt. Es war eine Rieseninvestition, allein das Ladenlokal kostete 2,2 Millionen Kronen. Und das vor 25 Jahren! Die Leute dachten, ich hätte den Verstand verloren. Und kurz nach der Eröffnung kam 9/11. Der Markt brach zusammen und für die nächsten zwei oder drei Jahre bewegten wir uns am Rand des Bankrott. Das war hart, sehr hart. Unsere Kinder waren noch klein und alles schien in Gefahr.

Warum hast du weitergemacht – aus Leidenschaft?

100 Prozent. Ich glaubte an das Projekt, einen Plan B gab es nicht. Ich hatte alles in Storm gesteckt – meine Zeit, mein Geld, mein Herz. Es musste einfach klappen, für mich gab es keine andere Option. Langsam erfingen wir uns. Und dann kam ein weiterer Schlüsselmoment: Pariser Marken im Sortiment.

Zum Beispiel Dior. Das muss ja irre gewesen sein.

Hedi Slimane war der neue Superstar. Er startete gerade Dior Homme und war auf der Suche nach Models in Kopenhagen. Irgendwie landete er im Laden. Hedi kaufte ein paar Teile und wir kamen ins Gespräch. Hinterher sagte er seinem kaufmännischen Leiter: „Ich will Dior in diesem Laden in Kopenhagen.“ So wurden wir zu einem der ersten Läden für Dior Homme. Das war einer dieser Momente, die sich einfach ergeben. Ich hatte mich nicht darum bemüht. Zur selben Zeit holte ich Marken wie Louis Vuitton und Chloe. Dort war Phoebe Philo die Designerin und als sie zu Celine wechselte, kontaktierte mich deren kaufmännischer Leiter. Es war, als würden wir auf der Welle der tollsten Pariser Marken dieser aufregenden Ära reiten.

Es muss aufregend gewesen sein, mit Designern zu arbeiten, die Mode neu definieren.

Das war es. Damals drehte sich alles um Modehäuser. Man wollte Grenzen überschreiten und etwas Bedeutsames erschaffen, das bekam mehr Aufmerksamkeit als der Produktverkauf. Heute steckt mehr Kalkül dahinter, alles dreht sich um einen Masterplan und die Kontrolle über die Präsentation der Unternehmensbotschaften. Damals war es reine Leidenschaft und Zusammenarbeit.

Wie kam denn die Streetwear zu Storm? Heute sehen viele den Laden ja als Epizentrum für luxuriöse Streetwear.

Ach, das wollte ich schon immer mal erklären! Jeder sah Storm als einen High-End-Modeladen – mit Pariser Marken und europäischen Designhäusern. Aber für mich war Musik schon immer sehr wichtig, besonders Hip-Hop. Schon als Kind habe ich im Radio den frühen Hip-Hop der 1980er gehört, direkt aus New York. Und nicht nur Rap, auch House und die Club-Szene prägten diese Zeit. Meine Faszination für diese Musik brachte ein Stück der dazugehörigen Kultur zu Storm. Mein Bauch sagte, die Zeit sei reif dafür. Das war etwa 2008.

Das war die Zeit der Wende für dich?

Ja. Und der Anstoß kam auf einer Tokio-Reise mit Freunden. Dort feierten wir an einem Abend Tyler Brûlés Geburtstag. Den kannte ich seit einer Weile, er kam immer im Laden vorbei, wenn er in Kopenhagen war. In „Wallpaper“ schrieb er auch über uns, wenn er neue, interessante Sachen im Laden fand.

War das seine nordische Phase?

Absolut. Auf seiner Geburtstagsfeier lernte ich Yoon Ahn von Ambush kennen. Am nächsten Tag führte er mich durch Tokio, stellte mich anderen vor, zeigte mir den Schmuck von Ambush – insbesondere die Pow-Ketten. Einige brachte ich im Koffer gleich mit. Damit begann eine neue Phase. Ich glaube, auch Sarah Andelman von Colette hatte die Ambush-Ketten im Programm, sie wurden also zum Modethema.

Für das Ladenpublikum muss das eine ganz schöne Umstellung gewesen sein.

Durchaus. Kaum hatten wir den Ambush-Schmuck im Laden, sagten die Leute: „Was ist das denn?“ Aber das jüngere Publikum wusste Bescheid. Die hatten Rapper damit gesehen oder kannten das Magazin, das Nigo für seine Marke A Bathing Ape in Tokio machte. Wieder einmal hatte sich das von allein entwickelt. Allerdings breche ich auch gern die Erwartungen der Leute.

Wie denn?

Jeder glaubte, er weiß, was Storm ist: „Ach, halt Celine und Luxusmode blablabla …“ Und dann führten wir Marken wie Ambush ein, Teile mit Bezug zur Street-Kultur. Schon trat Kanye West auf den Plan.

Der war auch im Laden?

Ja, 2009. Er kam zu Storm, wir unterhielten uns. Am selben Abend rief er mich an und sagte: „Führ mich durch Kopenhagen.“ Das hab ich dann gemacht. Durch ihn lernte ich Don C und andere kennen. Und auch das war nicht geplant, es ergab sich einfach.

Du hast ein Händchen dafür, Leute kennen zu lernen. Woran liegt das?

Vielleicht daran, dass ich einfach ich bin, ohne Hintergedanken. Ich bin ernsthaft interessiert an Menschen – ihren Geschichten, ihrer Kreativität. So entstehen diese Verbindungen. Und dann, durch Don C, sah ich diese Schlangenleder-Baseballcaps. Er erlaubte mir, sie bei Storm zu verkaufen.

Und die wurden dann zum Trend?

Und wie! Sie waren teuer, ich meine, richtig teuer für so eine Cap. Aber die Kids sparten drauf. Das sagte mir, wie viel sie mit dem anfangen konnten, was wir neu in den Laden brachten. Das waren nicht bloß Produkte: Sie standen für Kultur, für Zukunftsziele.

Hat das eine neue Generation zu Storm gebracht?

Wir haben immer darauf geachtet, relevant zu bleiben, und so haben wir eine neue Generation nach der anderen angezogen. Man darf sich nicht an eine Identität klammern. Man muss sich weiterentwickeln, aber dabei weiter dem eigenen Gefühl dafür folgen, was richtig ist. Über die Jahre habe ich gelernt, dass oft vieles gleichzeitig passiert, aber parallel. Überall auf der Welt arbeiten Gleichgesinnte an ähnlichen Ideen, ohne dass sie unbedingt miteinander verbunden sind. Äußere Einflüsse schieben sie in dieselbe Richtung – beinahe instinktiv.

Zwischen den Zeilen höre ich etwas Melancholie …

Na, ich denke schon oft daran, wie sich die Branche verändert hat. Ich bin mit Leidenschaft bei der Arbeit, aber wenn du fragst, ob ich die Branche noch liebe? Da bin ich nicht mehr so sicher. Ich glaube kaum, dass ich noch so in sie verliebt bin wie früher.

Erzähl mir mehr!

Man sollte nicht zu viel über die alten Zeiten reden. Aber trotzdem: Früher ging es darum, sich mich Gleichgesinnten zu verbinden. Wir tauschten uns über Ideen aus, stellten gemeinsam etwas auf die Beine. Geben war wichtiger als Nehmen, irgendwie. Jetzt erscheint es mir anders. Es geht stärker um Status – was hast du geleistet, wen kennst du, was nutzt du mir? Die Offenheit ist passé. Damals konntest du experimentieren, scheitern und trotzdem eine Zukunft haben. Heute scheint alles kalkuliert, getrieben von Geld und Informationssteuerung. Die Magie wurde durch Messeinheiten ersetzt.

Genau deshalb stichst du mit deinem Tun so heraus. Es wurzelt in Authentizität. Du hast im analogen Zeitalter begonnen, als alles greifbar und persönlich wirkte. Selbst in dieser hybriden, grenzenlos digitalen Welt finden deine Werte noch Anklang – besonders bei der jüngeren Generation.

Das liegt wohl daran, dass wir nicht zu sein versuchen, was wir nicht sind. Wir haben Vertrauen in uns selbst und folgen unseren Instinkten. Wir teilen, was wir aufrichtig lieben, und das merken die Leute. Es geht nicht nur um Produktverkauf – es geht darum, eine Kultur aufzubauen, eine Vision, etwas, wo du eingebunden wirst.

So als sei dein Laden ein unendliches Kunstwerk?

Genau. Jeden Tag fügen wir ihm etwas hinzu, verfeinern, entwickeln es weiter. Eben damit es relevant bleibt – und mit dem verbunden, worauf es ankommt. Ich denke in Bildern. Wenn wir kuratieren, kann ich vor mir sehen, wie alles zusammenkommen wird. Es geht um Relevanz, nicht um Perfektion!

Gerade jetzt ist Relevanz so wichtig. Dieses Grundrauschen überwältigt die Leute – ständig sind sie mit Tausenden Bildern und Produkten konfrontiert. Sie sehnen sich nach etwas, das sich echt anfühlt.

Das ist der Schlüssel. Wenn du nicht relevant bist, bist du nur ein Störgeräusch. Ich finde, es ist Aufgabe eines Modeladens, relevant zu sein – Geschichten zu erzählen, Menschen anzusprechen. Sonst verkaufst du nur Sachen, die niemand braucht.

Interessant ist ja, wie die jüngere Generation auf all das reagiert. Sie ist mit Fast Fashion, vertikalen und D2C-Marken aufgewachsen, erwartet gutes Design zum vernünftigen Preis. Gleichzeitig lechzt sie nach Erlebnissen – eben mehr als nur Einkauf.

Sie wollen Echtheit und Verbundenheit. Gleichzeitig überwältigt sie der Druck, den die perfekte, kuratierte Onlinewelt auf sie ausübt. Dort dreht sich alles um Schönheit und Geld, das verunsichert sie. So stecken sie fest zwischen dem Wunsch, dazuzugehören, und dem Unwissen, was sie wirklich wollen.

Früher fühlten sich Träume selten und kostbar an. Aber mit den Milliarden Bildern auf unseren Bildschirmen fühlt sich heute alles wie Einwegverpackung an. Der Sinn für Wunder ist uns verlorengegangen.

Genau das versuche ich zurückzubringen – den Zauber, die Träume. Durch Storytelling, durch den Laden, dadurch, wie wir Beziehungen zu Leuten knüpfen. Einfach ist das nicht, aber nötig. Magie lässt sich immer noch finden, wenn du bereit bist, danach zu suchen.

Was ist denn die nächste Magie? Du hast ja Jerry Lorenzo und Fear of God erwähnt. Wird das Verschwimmen von Streetwear und formeller Mode der nächste Trend?

Derzeit kommt es zu einer fast natürlichen Entwicklung. Fear of God ist ein gutes Beispiel. Wie Jerry diese beiden Welten verbindet, wirkt sehr modern. Er hat eine Sprache entwickelt, die Luxus und Streetwear auf neue Art verbindet. Etwas so Steifes wie Formalwear durchdringt er mit der Energie von Street-Kultur. Es mag ein kühner Vergleich sein, aber Fear of God wirkt auf mich wie das Kapitel nach Virgil. Interessant, denn obwohl das eher nicht mein persönlicher Stil ist, respektiere ich seine Arbeit sehr. Was er macht, wirkt relevant und modern, und darauf kommt es am meisten an.

Mit Blick auf euren Jahrestag bin ich jetzt noch neugieriger, was bei dir und Storm als nächstes ansteht.

Was immer wir bei Storm tun, spiegelt wider, wer wir als Familie sind – unser Alter, unsere Lebensführung, wie wir die Welt sehen. All das hängt miteinander zusammen. Was kommt jetzt? Weiß ich nicht genau. Ich kann aber sehr klar sagen, mit wem ich arbeiten will, was ich in meinem Laden sehen will, und was ich repräsentieren will. Das hat nichts mit Trends oder Plänen zu tun, sondern mit Instinkt. Ich weiß einfach, wenn sich etwas richtig anfühlt.

Wenn ich es recht bedenke, war das schon immer eine Familienangelegenheit. Storm ist nicht bloß ein Geschäft. Für mich, meine Frau und unseren Sohn ist es unser Leben. Von Anfang an haben wir das zusammen gemacht, wir sprechen jeden Tag über die Branche, wie die Leute sich verhalten, wie Dinge sich verändert haben, wie lange wir das noch machen wollen. Nicht nur finanziell gesehen, sondern auch moralisch. Wo liegen unsere Grenzen? An welchem Punkt sagen wir: „Jetzt reicht’s”? Während der Pandemie sind wir diese Fragen so richtig angegangen. Im Lockdown hatten wir Zeit zum Nachdenken. Finanziell waren das harte Zeiten, klar, aber da haben die Leute auch ihr wahres Gesicht gezeigt – Lieferanten, Partner, jeder. Erst das Gerede von Zusammenhalt, „Wir schaffen das zusammen“. Es hat aber nicht lange gedauert, bis die großen Akteure ihr wahres Gesicht gezeigt haben. Gut, einige waren rücksichtsvoll, aber andere? Die haben das mit der Solidarität ganz schnell vergessen und sich benommen wie immer. Das war entmutigend. Darüber haben wir als Familie oft gesprochen. Während dieser Zeit haben wir ein ungeschriebenes Gesetz entworfen: Wir konzentrieren uns darauf, was uns wirklich am Herzen liegt – und wir arbeiten nur mit Leuten, die mit unseren Werten im Einklang stehen. Corona hat uns Klarheit gebracht. Es hat uns gezwungen zu entscheiden, mit wem wir uns umgeben wollen und mit wem nicht. Das war eine der wichtigsten Lektionen für uns als Familie und als Firma.

Was sind die Kernpunkte dieser Lektionen?

Sowohl als Familie als auch als Geschäft haben wir uns Regeln gesetzt. Eine der wichtigsten: unsere Freiheit zu bewahren. Wir haben beschlossen, keine Darlehen oder Kredite aufzunehmen, nur damit wir überleben. Diese Unabhängigkeit definiert Storm. Weil wir niemandem etwas schulden. können wir handeln, wie wir es tun. Das wollen wir beibehalten. Diese Freiheit erlaubt es uns, uns selbst treu zu bleiben und nach dem zu richten, was wir für richtig halten, statt nach dem, was erwartet wird. Eine weitere Regel besagt, dass wir nur mit Leuten arbeiten, die wir respektieren und die uns respektieren, mit denen wir Abendessen und über das Leben jenseits des Geschäftlichen quatschen können – nicht nur über Mode, sondern über Familie, Musik, Politik, Filme, Ferien. Wir arbeiten also nur mit Leuten, die unsere Werte teilen.

Eine super Regel.

Gerade in den letzten fünf Jahren ist sie für uns unverzichtbar geworden. Die Pandemie hat dahingehend unseren Blick geschärft. Wir hatten Zeit zum Nachdenken, mit wem wir arbeiten wollen und mit wem nicht. Sie zeigte uns auch, wer die Echten sind, die Partner, die sich auch in harten Zeiten für uns einsetzten und uns mit Anstand behandelten.

Es geht also um Freiheit, aber auch darum, die richtigen Beziehungen aufzubauen.

Genau. Drittens haben wir festgelegt, dass die Arbeit in unser Privatleben passen muss. Wir machen das jetzt seit 30 Jahren und sind stolz auf das, was wir aufgebaut haben, aber das darf nicht die Oberhand über unser Leben gewinnen. Deshalb haben wir zum Beispiel kürzere Öffnungszeiten als die meisten. 11.30 Uhr bis 17.30 Uhr, das reicht. So kann ich mit meiner Frau frühstücken, morgens schwimmen gehen, zum Sport, Zeit mit der Familie verbringen. Das ist es doch, was zählt. Wir jagen keinen Trends hinterher oder versuchen, der coolste Laden zu sein. Wir machen, was wir für richtig halten. Wenn die Leute das cool finden, super. Wenn nicht, auch gut.

Das scheint mir der perfekte Ansatz für die nächsten 30 Jahre. Danke, Rasmus!
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