Interview: Martina Müllner. Foto: Konrad Olsson
Konrad Olsson, Gründer von Scandinavian Mind: Wir sehen in Skandinavien wie in ganz Europa, dass Marken, Einzelhändler und E-Commercer Schwierigkeiten haben, gute Abverkäufe zu erzielen. Dafür gibt es unzählige Gründe. Die eigentliche Herausforderung in unserer Branche besteht allerdings darin, Klarheit in Daten zu bringen. Nicht zuletzt, weil die neuen EU-Richtlinien Transparenz fordern. Auf der Makroebene weiß immer noch niemand, wie viel Kleidung wir jedes Jahr produzieren, die Überproduktion ist das drängendste Problem unserer Branche. Vor allem bei jüngeren Generationen riskiert die Mode einen Tabakmoment, wie ich das nenne, also so unpopulär wie Zigaretten zu werden. Denn diese Generation ist nicht mehr wie wir der Meinung, dass in der Mode zu arbeiten, das Tollste ist, was man in seinem Leben tun kann.
Definitiv! Erstens, weil wir das Makroproblem Überproduktion nicht lösen können, wenn wir nicht über Daten verfügen. Zweitens, weil es schon bald bessere Tools geben wird, um Verbrauchern zuzuhören und das zu liefern, was sie tatsächlich verlangen. Das ist nicht nur für Produzenten besser, sondern vor allem für die Umwelt. Bis dato werden viel zu wichtige Entscheidungen mit Bauchgefühl getroffen. Ich behaupte nicht, dass das Bauchgefühl keine Rolle spielt, besonders in der Mode! Aber darf es weiterhin wirtschaftlich tragfähig sein, Bestellungen großer Warenmengen vom anderen Ende der Welt aufzugeben, nur um danach auf gut Glück zu versuchen, sie zu verkaufen? Ohne jede valide, datengestützte Prognose? Ehrlich, ich bin immer wieder erstaunt, wie eine Branche, die als so fortschrittlich und modern wahrgenommen wird, dann in Bezug auf ihre Arbeitsweise erschreckend traditionell und konservativ ist.
Mit diesen hohen Margen gesegnet zu sein, war für die Mode lange ein Segen – und gleichzeitig Fluch! Warum können Marken immer noch Überproduktion in Kauf nehmen? Weil es aus finanzieller Sicht funktioniert. Wäre das wirtschaftlich nicht tragfähig, hätten wir das Problem längst nicht mehr. Aber diese Überproduktion lohnt sich noch immer, Ware ziellos in Läden und den Markt zu pushen, ebenso.
Ich glaube, man muss nicht zu tief in die Kristallkugel schauen. Auch von anderen Dingen kann man lernen: Ich weiß, das klingt jetzt erst mal hart, aber das Geschäftsmodell von Shein und Co. ist tatsächlich einen zweiten Blick wert. Sie produzieren in viel kleineren Chargen, viel genauer für den tatsächlichen Bedarf – und darin (und natürlich in all den unorthodoxen Produktions- und Arbeitsbedingungen) liegt offenbar ein so großes Einsparpotenzial, dass Europa mit billiger ultraschneller Mode überschwemmt werden kann. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde dieses Modell mehr als verwerflich, aber wir müssen auch von den Feinden lernen und uns fragen, ob eine genaue Prognose der Nachfrage auch den guten Unternehmen in der Mode helfen könnte. Einige Start-ups machen das bereits und ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
Meine Ansichten darüber haben sich in den letzten sechs Monaten sehr gedreht. Es lag so viel Hoffnung auf Dingen wie Rent, Resell, Reparatur, Mode im Metaverse, Mode im Gaming. Natürlich liegen in all diesen Modellen weiterhin Chancen, etwas zu verändern. Müssen wir dafür sorgen, dass Kleidungsstücke länger halten? Natürlich! Aber Ressourcenverschwendung und die Produktion von so viel Müll sind das Problem der Industrie. Ich regiere daher gerade sehr sensibel auf alle Initiativen, die die Verantwortung für Nachhaltigkeit auf den Verbraucher abwälzen wollen. Wir können nicht alles vom Verbraucher verlangen, der Verbraucher bewegt sich unvernünftig in einem unvernünftigen Markt. Daher müssen wir die Verantwortung zurückgeben an die, die diesen Markt so grotesk werden haben lassen, und deutlich sagen: Bringt euren Scheiß in Ordnung, pardon my french. Ihr produziert dieses Zeug, ihr gebt es in Fabriken in Auftrag, ihr bringt es in den Markt, ohne zu wissen, ob ihr es verkauft oder nicht. Gebt doch dafür nicht dem Kunden die Schuld!
Die Idee, Kleidung industriell herzustellen und viermal im Jahr unter einem neuen Trend anzubieten, ist relativ neu, gerade einmal 100 Jahre alt. Was für eine geniale Geschäftsidee! Wenn man genau hinschaut, gab es bisher keine Disruption dieses Geschäftsmodells. Wir dachten, E-Commerce wäre der Gamechanger gewesen, aber am Ende war es nur mehr vom Gleichen. Spannend, dass die goldenen Jahre des E-Commerce deckungsgleich sind mit der Dekade, in der sich die weltweite Kleidungsproduktion fast verdoppelt hat. Wir haben also gar kein Geschäftsmodell revolutioniert, wir haben einfach nur den Regler nach oben geschoben.
Digital Fashion ist vor allem der Generationen-Shift. Meine heute 13-jährige Tochter hat, als sie gerade begann, Geld auszugeben, in den Welten von Roblox oder Fortnite – und ich meine wirklich Welten, weil sie da nicht nur spielte, sondern sich auch mit ihren Freunden traf – eines Tages mich in ihr Zimmer gerufen und gefragt: Papa, denkst du, ich sollte diesen Hut tragen? Sie hielt ihr Telefon hoch und zeigte ihren Avatar. Also setzte sie den Avatar mit sich selbst gleich. Das war ihre Identität. Gibt es also die Möglichkeit, dass wir, wenn wir mehr Zeit in digitalen Umgebungen verbringen, einen Teil unseres Bedürfnisses nach Identität und Ausdruck, das die Mode ausfüllt, in diese Welten einbringen? Absolut.