Interview: Stephan Huber. Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Alexander Wells
Sarah Iglesias Hiller, CEO Weave: Ehrlich gesagt, nicht so sehr, wie ich es mir wünschen würde. Da hinken wir immer noch hinterher. Frauen sind in der Mode zwar im Design und in der Produktentwicklung stark vertreten, aber in der Unternehmensführung ist der Anteil der Frauen immer noch sehr gering. Das sorgt dafür, dass sich Strukturen nur langsam verändern.
Carolin Franitza, Stakeholder Managerin Oeko-Tex: Das stimmt, wir sind da allgemein noch nicht so weit, wie wir sein könnten. Aber ich sehe auch Fortschritte. Frauen bringen oft Fähigkeiten mit, die in Teams einen echten Mehrwert schaffen, wie Empathie, Flexibilität und eine stärkere Orientierung an Zusammenarbeit. Wichtig ist, dass Unternehmen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht ausblenden, sondern Diversität gezielt nutzen – was auch der Wirtschaftlichkeit der Unternehmen zugutekommt.
Carolin Franitza: Für mich war bei meinem Werdegang Mentoring extrem wichtig. Ich konnte mich bei Oeko-Tex weiterentwickeln, indem ich zwar eine Guidance hatte, aber mich ausprobieren und experimentieren durfte. Heute arbeite ich im Stakeholder-Engagement eng mit NGOs, Regierungen und anderen Partnern zusammen, um Nachhaltigkeit in der Textilindustrie zu fördern – das macht mir großen Spaß! Junge Menschen brauchen Vorbilder, die ihnen Möglichkeiten zur Entwicklung geben. Zusätzlich ist es wichtig, jungen Talenten aufzeigen zu können, dass Karriere und Familie vereinbar sind. Unternehmen sollten hier gezielt Förderprogramme anbieten, die auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Sarah Iglesias Hiller: Ich bin jetzt über zehn Jahre in der Branche und habe es bei meinen Stationen bei Inditex und Mango ähnlich positiv erlebt. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse war, wie essenziell Netzwerke und gezielte Förderung sind. Junge Talente fühlen sich oft in der Informationsflut verloren. Wenn Unternehmen aber Strukturen schaffen, in denen sie ihre Ideen einbringen und Verantwortung übernehmen können, entsteht echtes Vertrauen. Es geht darum, ihnen eine Stimme zu geben und sie aktiv in Entscheidungen einzubinden.
Sarah Iglesias Hiller: Absolut. Junge Konsumenten suchen heute nach mehr als nur Produkten – sie wollen Erlebnisse. Das habe ich besonders in Asien erlebt, was mich sehr beeindruckt hat. Viele Läden dort sind eher Showrooms, in denen man gar nicht mehr kaufen kann. Stattdessen kommen die Menschen zusammen, probieren die Produkte, machen Fotos und bestellen dann online.
Carolin Franitza: Ich war es früher, aber durch meine Beschäftigung mit Nachhaltigkeit hat sich das stark gewandelt. Trends spielten für mich früher eine große Rolle. Heute investiere ich beim Modekauf in Qualität und Langlebigkeit. Ich hoffe, dass sich der Wandel zu mehr Achtsamkeit fortsetzt, wofür ich vermehrt Anzeichen auf Tiktok und Instagram sehe. Aber der Weg dahin, dass Nachhaltigkeit zur Selbstverständlichkeit wird, ist noch lang. Vintage ist dafür ein gutes Beispiel: Viele junge Leute kaufen Secondhand, weil die Sachen einzigartig und cool sind. Nachhaltigkeit ist dabei oft nur ein Nice-to-Have. Trotzdem zeigt dieser Trend, dass bewusster Konsum Spaß machen kann.
Sarah Iglesias Hiller: Auch ich sehe diesen Wandel. Auf Tiktok sieht man oft, wie man beispielsweise mit einer Jeans mehrere Looks kreiert oder mit einer Essential Wardrobe mit nur zehn Kleidungsstücken auskommt. Japan ist hier ein Vorbild. Dort gibt es seit Jahren Plattformen für Pre-Owned Fashion und eine starke Kultur des Werterhalts. Es geht darum, das, was man hat, wertzuschätzen und bewusst zu konsumieren.
Carolin Franitza: Ja, da gibt es tatsächlich eine große Schere. Auf der einen Seite wächst eine Community, die bewusst konsumiert. Auf der anderen Seite boomen Ultra-Fast-Fashion-Marken wie Shein oder Temu mit extrem günstigen Preisen – gerade bei jungen Konsumenten. Oft fehlt es an greifbaren, nachvollziehbaren Erklärungen, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet.
Sarah Iglesias Hiller: Das sehe ich genauso. Unternehmen müssen den Rahmen setzen. Bei Mango habe ich zum Beispiel die Teens-Kollektion entwickelt. Nachhaltigkeit war von Anfang an Teil des Konzepts, weil wir wussten, dass das Thema eine Rolle spielt. Aber es bleibt schwierig, weil viele junge Menschen nicht nur aus Überzeugung handeln. Trends wie Vintage oder Secondhand sind Lifestyle-Entscheidungen, Nachhaltigkeit ist oft nur ein Add-on.
Carolin Franitza: Das ist ein Teil des Problems. Nachhaltigkeit wird oft abstrakt und kompliziert kommuniziert. Außerdem bleibt der Preis ein großes Thema. Viele können sich nachhaltige Produkte schlicht nicht leisten. Unternehmen und Politik müssen die Rahmenbedingungen setzen, um nachhaltige Produkte für alle zugänglich zu machen.
Sarah Iglesias Hiller: Es geht auch darum, dass Konsumenten nicht das Gefühl haben, sie müssten für Nachhaltigkeit einen großen persönlichen Aufwand betreiben. In Oslo war ich letztens auf dem Event NF&TA, bei dem es in der Hauptsache um Nachhaltigkeit ging und bei dem alle Teilnehmer ihre eigenen Tassen mitbringen mussten. Das wurde ganz selbstverständlich kommuniziert und es gab gar keine andere Option. Solche Ansätze könnten in unserer Branche auch funktionieren, wenn sie konsequent vorangetrieben werden.
Carolin Franitza: KI ist ein mächtiges Werkzeug. Sie kann Prozesse effizienter machen und uns neue Möglichkeiten eröffnen. Aber ich mache mir schon Sorgen, dass wir uns zu sehr darauf verlassen könnten. Der Verlust von Eigenständigkeit und kritischem Denken ist eine echte Gefahr. Deshalb sollten wir uns bewusst machen, wie wir KI einsetzen und wo ihre Grenzen liegen.
Sarah Iglesias Hiller: Ich sehe KI eher als Tool, das kreative Prozesse unterstützt. Sie kann zum Beispiel helfen, Inspirationen zu entwickeln oder erste Ideen zu visualisieren. Aber sie wird den menschlichen Faktor niemals ersetzen können. Für mich ist KI wie ein sehr guter Praktikant: Außergewöhnlich hilfreich, aber nur so gut wie der Input, den man gibt.
Carolin Franitza: Ja, ich glaube, Menschen suchen immer mehr nach Authentizität, nach Austausch und echten Erfahrungen. Je technologischer unser Alltag wird, desto größer wird das Bedürfnis nach Dingen, die greifbar und menschlich sind.
Sarah Iglesias Hiller: Das sehe ich genauso. Trotz aller technologischen Fortschritte bleibt die Suche nach Nähe und Echtheit essenziell. Und genau das wird auch die Modebranche in Zukunft prägen.
Carolin Franitza startete vor sechs Jahren in Design und Vertrieb. Seit 2021arbeitet sie mit heute 25 Jahren bei Oeko-Tex und aktuell im Stakeholder-Management, um nachhaltige Lösungen in der Textil- und Lederindustrie zu realisieren.
Nach Stationen bei Inditex und Mango, wo sie die Teens-Kollektion entwickelte, gründete Sarah Iglesias Hiller im Oktober 2024 ihre Firma Weave. Ihr Fokus liegt darauf, die gesamte Supply Chain durch die Implementierung von KI-gestützten Workflows für Brands, Produzenten und Reseller effizienter und nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig die Rolle der Frau in der Mode und Modetechnologie neu zu denken.